Anleger müssen Prospekt nicht zwingend lesen

 

Der Bundesgerichtshof hat am 08.07.2010 (Az: III ZR 249/09) eine entscheidende Frage geklärt, die sowohl für die Verjährung von Ansprüchen eine Rolle spielt, als auch für das Bestehen von Ansprüchen wegen fehlerhafter Anlageberatung selbst.

Der Fall:

Ein Anlageberater hatte einem Anleger einen geschlossenen Immobilienfond („Turmcenter Frankfurt“)  als sichere Altersvorsorge empfohlen. Dieser ging mittlerweile in Insolvenz. Der Anleger forderte vom Berater Schadensersatz, da dieser nicht auf das Risiko des Totalverlusts hingewiesen hatte.

Der Berater berief sich auf Verjährung der Ansprüche, da der Anleger hätte den ihm übergebenen Prospekt hätte lesen können und so Kenntnis von den Risiken haben können.

Diese Frage war lange umstritten in der Rechtssprechung der Oberlandesgerichte. Der Bundesgerichtshof hat die Frage nun verbindlich beantwortet, daß eine grob fahrlässige Unkenntnis des Beratungsfehlers eines Anlageberaters oder der unrichtigen Auskunft eines Anlagevermittlers nicht schon allein daraus ergibt, dass es der Anleger unterlassen hat, den ihm überreichten Emissionsprospekt durchzulesen und auf diese Weise die Ratschläge und Auskünfte des Anlageberaters oder -vermittlers auf ihre Richtigkeit hin zu kontrollieren.

Dies hat zweierlei enorm wichtigen Inhalt. Einerseits legt der BGH fest, dass den Anleger regelmäßig kein Mitverschulden trifft, wenn er den Prospekt nicht liest und auf die Aussagen des Anlageberaters oder –vermittlers vertraut. Andererseits hat dies erhebliche Auswirkung auf die Frage, wann die Verjährung beginnt. Denn diese beginnt entweder wenn der Anleger Kenntnis von den Tatsachen erlangt, die eine Falschaufklärung darstellen oder wenn er diese Tatsachen grob fahrlässig nicht kennt.

Letzteres war häufig das Problem, wenn ein Prospekt übergeben wurde.

Der BGH hat jetzt entschieden, dass der Anleger, der auf den Rat und die Angaben des  Beraters oder Vermittlers vertraut und er deshalb davon absieht, den ihm übergebenen Prospekt durchzusehen und auszuwerten,  im Allgemeinen kein „grobes Verschulden gegen sich selbst“ zu sehen ist. Mit anderen Worten, die Übergabe des Prospektes kann nicht per se den Verjährungsbeginn auslösen.

Diese Entscheidung dürfte für sämtliche Anlageformen weitreichende Konsequenzen haben.